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Klinik Die Maschinen abschalten? Es kommt darauf an, die Situation richtig einzuschätzen

Sterbende soll der Arzt sterben lassen

Sterbehilfe- immer wieder kommt die Diskussion auf, verstärkt durch Gesetzesänderungen in den Nachbarländern und Verstöße in der Europäischen Union. Sie leidet an einem Problem: die Dimension des Problems ist unbekannt. Es gibt kein Register, es gibt keine epidemiologischen Daten. Die Erhebungen etwa des Klinikums Aachen lassen jedoch Vermutungen zu. Insgesamt erfüllen dort nur vier Prozent der Patienten der chirugischen Intensivstation die Kriterien potenzieller aktiver Sterbehilfe- die bei keinem bewusst und intendiert angewendet wurden; Ärzte lehnen sie wie überall in Deutschland ab. Von diesen Schwerstkranken starben 84 Prozent noch während des stationären Aufenthaltes; nur einer lebte länger als sechs Monate. Die Folgerung der Ärzte: Wir hätten die Indikation zur passiven Sterbehilfe wohl häufiger stellen sollen. Die Zahlen haben im Nachhinein gezeigt, dass auch der Intensivmediziner lernen muss, Sterbende sterben zu lassen.
Mann soll auch den wirtschaftlichen Teil nicht außer Acht lassen, wenngleich er nie im Vordergrund stehen darf. Ein todkranker Intensivpatient- für den manche Stimmenaktive Sterbehilfe fordern- hat in der Statistik der Chirugischen Klinik der Universitätsklinik Aachen im Durchschnitt drei Operationen erfahren, wurde neun Tage beatmet, erhielt über 30 Bluttransfusionen und ist bereits achtmal mit einer Blutwäsche behandelt worden. Die Verweildauer überschreitet 20 Tage, die Kosten liegen pro Fall bei mehr als 52.000 Euro im Vergleich zu rund 2.300 Euro für den normalen Intensivpatienten.
Noch hat sich in keiner Situation, weder von ärztlichen noch vom Pflegepersonal die Frage nach Abkürzungen der Behandlung im Sinne einer aktiven Sterbehilfe gestellt. Im Hintergrund steht nur das Konzept einer passiven Sterbehilfe in Form einer Beendigung der Maximaltherapie. Generell stellt die Frage nach der Sterbehilfe jeden Kliniker mit einem eindeutigen Behandlungsauftrag vor Probleme. Die Ärzteschaft ist verunsichert. Sie steht an der Kluft zwischen vermeintlichem Ethos und vermuteter Rechtslage und weiß, dass ein Großteil der Ressourcen von einer Minderheit der Patienten verbraucht wird, die letztlich doch keinen Vorteil davon haben.
So bleibt für uns als Folge, dass aktive Sterbehilfe von ärztlicher Seite auch weiter strikt abzulehnen ist.
Eine wohl und vielleicht früher indizierte Sterbehilfe bei Todkranken ist bei richtiger Auslegung der Gesetze im Einzelfall als Instrument für den klinischen Alltag vollständig ausreichend. Es gibt keinen Zwang zur Gesetzesänderung im Hinblick auf eine Zulassung zur aktiven Sterbehilfe in Analogie zu den niederländischen und belgischen Verhältnissen. Diese Gesetzgebung wäre missbrauchgefährdet und letztlich im Widerspruch zur Wahrung der Menschenwürde.
Für die passive Sterbehilfe reichen die bestehenden Gesetze aus, wenn Juristen, Ethiker, Philosophen, Journalisten und Ärzte sie patientengerechter auslegen. Eine bewusstere Einsetzung der passiven Sterbehilfe als Instrument der letztendlichen Behandlung und der Einsatz wirksamer Palliativmedizin ist in jedem Fall jeglicher Form von Begünstigung aktiver Sterbehilfe vorzuziehen.
Doch dieser Umgang muss gelernt sein, und er muss von allen Beteiligten im Interesse des Patienten einheitlich praktiziert und beurteilt werden. Trägt das Absetzen definitiver Therapiemaßnahmen beim Sterbenden auch nur den Hauch der Illegalität, wird sich der Arzt im Zweifel dagegen entscheiden.


Autor: Volker Schumpelick, Direktor der Chirugischen Klinik der Universitätsklinik Aachen
Quelle: Rheinischer Merkur, Nummer 43-2005, Seite 24